Werk – Das Buch „In volo su Roma“ enthält die von Pietro Clesi aufgearbeiteten und kommentierten Briefe Lauros, die er an die Bevölkerung, aber auch an seine Eltern, Freunde und seine Partnerin Ruth Draper schrieb – darunter auch der berührende Brief „Storia della mia morte“ – „Die Geschichte meines Todes“ – den er vor seinem Flug an seine Mutter und das italienische Volk schrieb. VITA – Lauro Adolfo De Bosis ist eine interessante historische italienische Persönlichkeit. Geboren am 09. Dezember 1901 in Rom als Sohn eines bekannten Poeten und Gründers der Zeitung „Il Convinto“ und einer Autorin, machte er 1922 – im selben Jahr in dem die Faschisten um Mussolini in Italien an die Macht kamen – einen Abschluss in Chemie, bevor er seine literarischen Interessen verfolgte und 1928 in Amsterdam als Gewinner der olympischen Silbermedaille für Poesie mit seinem Werk „Icaro“ als Poet bekannt wurde. Er arbeitete als Gastdozent in Harvard und als Sekretär für die Italy America Society. Nachdem das zur Tyrannei gewordene faschistische Regime schließlich 1924 das Attentat auf Giacomo Matteotti ausübte, gründete Lauro die Geheimgemeinschaft „Alleanza nazionale per la libertà“, die Briefe an das italienische Volk verbreitete. Während er sich 1930 in den USA aufhielt, spürte die Polizei in Rom die Quelle der antifaschistischen Propaganda auf und verhaftete seine Verbündeten, – dennoch führte er den Widerstand fort; nahm Flugstunden, um von Marseille aus mit der Pegaso über Rom zu fliegen und 400.000 Flugblätter an die italienische Bevölkerung und den König abzuwerfen, die dazu aufriefen, für Freiheit, Einheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Von diesem Flug kehrte er nie zurück – der Grund für den Absturz ist nicht klar, seine Leiche wurde nie gefunden. Einige Jahre später wurde an der Harvard Universität das „Lauro de Bosis Fellowship on Italian Civilization” ins Leben gerufen, das auch immer noch existiert. In Italien gilt Lauro als Inspiration für die Patrioten und Soldaten, die im zweiten Weltkrieg gegen das deutsche NS-Regime kämpften, und wird als „Ikarus“ für seinen Heldenmut im Gedächtnis gehalten. | WERK – Lauro De Bosis ist eine wichtige, spannende Figur der italienischen Geschichte und gewann sogar eine olympische Medaille der Poesie. Er war ein wichtiger Teil des Widerstandes gegen das Mussolini-Regime und seine Geschichte ist bemerkenswert und bewegend – und uns in Deutschland kaum bekannt. Bisher wurde nichts aus seiner Feder ins Deutsche übersetzt, und allgemein ist wohl wenigen Deutschen die italienische Geschichte bekannt. Die Briefform macht das Buch interessant und zugänglich, die Inhalte sind berührend und regen zum Nachdenken an. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Melina Wagner im Mentorat mit der Übersetzerin Dr. Ulrike Schimming
Deutsche Übersetzung
[S. 57] AN DIE BÜRGER
Rom, im Jahre VIII nach dem Verbrechen an Giacomo Matteotti
Wer auch immer du sein magst, mit Sicherheit fluchst du über den Faschismus und spürst all die unterwürfige Scham.
Aber auch du bist mit deiner Untätigkeit dafür verantwortlich. Suche nicht nach einer trügerischen Rechtfertigung, indem du dir sagst, es sei nichts zu machen. Das ist nicht wahr. Alle tapferen und ehrbaren Menschen arbeiten still, um ein freies Italien vorzubereiten. Auch wenn du keiner der unseren sein willst, bleiben immer noch ZEHN DINGE, die du auch allein tun kannst und musst. Du darfst
1. an keiner faschistischen Veranstaltung teilnehmen.
2. keine Zeitungen kaufen. Sie enthalten nur Lügen.
3. nicht rauchen. (Das Tabakgeschäft bringt dem Faschismus jährlich mehr als drei Milliarden ein; genug, um all ihre Häscher zu bezahlen. Tu gegen den neuen Radetzky, was die Mailänder gegen den alten getan haben. Das war der Beginn des Fünf-Tage-Aufstands.)
4. nichts tun oder sagen, was dich regimetreu erscheinen lässt.
5. weder persönliche, noch geschäftliche Beziehungen mit den Dienern des Regimes eingehen. Sie alle beuten dich aus.
6. keine faschistischen Aktionen dulden und widerstandslos hinnehmen. Selbst die besten dienen nur dazu, dich in Ketten zu legen. (Wie Bottai erklärte: „Der Korporationenstaat ist das beste Instrument der Polizei, das wir bisher gefunden haben!“)
7. nichts vom Faschismus akzeptieren. Was immer er dir auch gibt, es ist der Preis für deine Prostitution.
8. Verbreite die Flugblätter der Alleanza und jede wahre Information, die du zu fassen bekommst. Die Wahrheit ist stets antifaschistisch.
9. Suche dir vertrauenswürdige Freunde, auf die du dich in jedem Fall verlassen kannst.
10. Vertraue fest auf Italien und die Freiheit. Der Defätismus der Italiener ist das wahre Fundament des faschistischen Regimes. Teile dein Vertrauen und deine Hingabe mit anderen. Wir befinden uns mitten im Risorgimento. Die neuen Unterdrücker sind korrupter und grausamer als die alten, aber sie werden genauso fallen. Sie sind lediglich Komplizen, wir jedoch sind durch den Willen frei zu sein verbunden Die Spanier haben ihr Vaterland befreit. Verzweifle du nicht an deinem.
Das Direktorium
[S.61]
Der letzte bewegende Brief, den Lauro am Abend vor seinem Flug schrieb, ist an Ruth Draper adressiert.
AN RUTH DRAPER
[7. Oktober 1931]
Werde glücklich für mich! Nicht nur stolz. Glücklich. Es war dein Wille, dass ich eine Rolle im Leben meines Landes spiele. Ich kann dir versichern, dass ich nicht einmal nach fünfzig Jahren des Schaffens und des Erfolgs eine derartige Rolle hätte übernehmen können. Warte ab und du wirst sehen! Nicht sofort, aber ich werde zu einem Symbol werden und einhundert Mal so viel erreicht haben, als ich es im Leben könnte. Ich hätte mir keinen besseren Ausgang für meine Ideale und mein Bestreben, diesem Land zu dienen, wünschen können. Würde ich lebendig zurückkehren, wäre es lediglich eine beau geste. So ist es so viel mehr. Hätte ich überlebt, hättest du tausende Dinge für mich getan. Und nun willst du nicht einmal eines für mich tun? Meinen letzten und innigsten Wunsch nicht erfüllen? Werde glücklich und führe dein herrliches Leben weiter – nicht, als wäre ihm etwas entrissen, sondern als wäre ihm etwas hinzugefügt worden. Du hast mein Leben für mehr als drei Jahre zu einem wahren Paradies gemacht. Tu mir den Gefallen und mach daraus nun keinen Grund für Trauer. Ich bin glücklich. Werde auch du glücklich. Sei fröhlich und arbeite. Das wäre für mich das Geschenk, das alles andere krönt. Wenn du das tust, werde ich spüren, dass meine Liebe dich über den Tod hinaus beschützt. Andernfalls wird meine Seele nie Frieden finden. Niemals, bis du nicht wieder glücklich bist.
Und ich bitte dich, liebe jemand anderen. Ich würde es indirekt als Liebe zu mir ansehen.
Voller Anbetung halte ich dich in meinen Armen.
Lauro
Nachdem sie eine halbe Stunde am Himmel über Rom gekreist war, verschwindet die Klemm L-25, gesteuert von Lauro De Bosis, am Horizont über dem Tyrrhenischen Meer. Die folgenden Tage verbringen Lauros Freunde und Angehörige voller Anspannung. Mit jedem Tag der Funkstille sinken die Chancen, dass er überlebt haben könnte. Doch die fehlende Bestätigung des Abschusses des Flugzeugs durch das Regime und die Befürchtung der französischen Polizei, der Pilot könnte in Richtung der afrikanischen Küste abgedreht haben und sich nun in den Händen der algerischen Regierung befinden, schüren noch einige Zeit die Hoffnungen. Doch mit den verstreichenden Wochen wird die schlimmste Vermutung immer wahrscheinlicher: Die Pegaso ist vor Korsika ins offene Meer gestürzt. Einige Monate später, am 20. Dezember 1931, wird Lauros Mutter an Ruth schreiben: „Meine Liebe, es freut mich, dass er dir gesagt hat, du sollst dein Leben glücklich fortführen. […] Ich denke vor allem daran, welchen Triumph, welchen Ruhm, welche Lobpreisungen diese letzten Stunden des Fluges für ihn bedeutet haben müssen. Die Gedanken an seinen Bruder, an Shelley, an die Schönheit dieser Erde, des Meeres, des Himmels, der Nacht; an die Einsamkeit, die Harmonie.“
Steckbrief und Übersetzung von Melina Wagner im Mentorat mit der Übersetzerin Dr. Ulrike Schimming
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Bildquelle:
Lauro De Bosis – https://istorica.it/2022/01/10/lauro-de-bosis-l-icaro-italiano-che-sfido-mussolini-e-scomparve/
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