Anne-Marie Garat


Werk – In einer Zweizimmerwohnung eines Pariser Vororts, umzingelt von belebten Straßen und dunklen Gassen lebt Jason. Einsam und fernab von Metro, GPS und Google Earth, arbeitet Jason von zu Hause aus als Übersetzer. Vor kurzem von seiner Frau und seiner Tochter getrennt, beginnt er einen ernsten Dialog mit seinem Computer, der ein eigenes Leben zu führen scheint. Auf dem überhitzten Generator erscheint plötzlich eine Datei mit Kindheitserinnerungen sowie weitere Bilder traumatischer Ereignisse aus seiner Vergangenheit, die er nach der Scheidung und den Herausforderungen der Vaterschaft verdrängt hatte. So erfährt er, dass seine Tante die Familie massakrierte und mit ihm das Land verließ. Der Computer zeigt ihm eine narrative Realität und eine Lücke zu einer in Vergessenheit geratenen Zeit. Die eigentümlichen Dialoge mit einer Maschine spiegeln seine Sehnsucht nach Verbindung und Verständnis wider und lassen Fragen nach der Rolle der Technologie in unserem Verständnis von Identität aufkommen.

Vita – Anne-Marie Garat, geboren am 9. Oktober 1946 in Bordeaux, war eine renommierte französische Autorin, sowie Dozentin für Film und Fotografie. Neben zahlreicher Essays umfassen ihre Werke vor allem gesellschaftsbeobachtende Romane, literaturwissenschaftliche Studien und Texte für Kinder. Anne-Marie Garat ist für ihre literarischen Werke mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Ihre Romane sind in mehrere Sprachen übersetzt. Le Grand Nord-Quest erhielt 2019 den deutsch-französischen Franz-Hessel-Preis. Auch ihr Werk Aden (1992) wurde für den Prix Femina nominiert. In Dans la main du diable (2006) thematisierte sie Krieg und Erinnerung. Am 26. Juli 2022 verstirbt Anne-Marie Garat im Alter von 76 Jahren in Paris.        
Werk – Der Roman Programme Sensible, imaginiert eine symbiotische Beziehung zwischen der Hauptfigur Jason und seinem Computer. Dieser wird zu einer Erinnerungsmaschine für verdrängte Erlebnisse. Garat erzählt eine beklemmende Zukunftsvision über die Auswirkungen fortschrittlicher Technologien auf individuelle Erinnerungsprozesse. Der Roman stellt die Frage nach den Grenzen persönlicher Freiheit in einer Welt, in der Technologien einen immer größeren Raum einnehmen und auch vor der Privatsphäre nicht Halt machen.  

Rezension

Virtuelle Erinnerungen: die Verschmelzung von Menschen und Maschinen in Anne-Marie Garats Programme Sensible

Dunkelheit, Einsamkeit, Kälte, nasse Straßen. Ein Ort der von allen vergessen wird. Ein Pariser Vorort. Und Jason lebt mittendrin. Frisch geschieden arbeitet er als Übersetzer und führt eine sonderbare Beziehung mit seinem Computer. Was hat sich in Wirklichkeit in seiner Kindheit abgespielt und wer ist für den Tod/die Ausrottung seiner gesamten Familie verantwortlich?

Gefangen im virtuellen Netz der Erinnerungen

Der Roman Programme Sensible von Anne-Marie Garat ist ein komplexer posthumanistischer Roman, dessen Erzählstränge nicht auf Anhieb ersichtlich ist. Am 1. Februar 2013 ist der Roman bei dem französischen Verlag Actes Sud erschienen und erzählt auf 254 Seiten die Geschichte des einsamen Protagonisten Jason.

Der Roman verbindet dabei verschiedene Themen miteinander: Erinnerungen und Identität, die Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und die Rolle der Technologie, die alles zu umfassen scheint.

Es geht um Jason Fären, einen Mann mittleren Alters, der frisch geschieden ist und eine Tochter namens Alix hat. Er wird als recht zurückhaltend beschrieben und ist eher ein einsamer und phlegmatischer Mensch, der kaum eigene Merkmale aufzuweisen scheint. Trotz des Kontakts zu seinem besten Freund Jack, den er seit seiner Kindheit kennt und unterstützt, lebt er alleine und zurückgezogen in einer Zweizimmerwohnung im Pariser Vorort, der nicht weder GPS noch von Google erfasst wird. Der Protagonist hat kein einfaches Leben, besonders in Bezug auf soziale Beziehungen und seine familiäre Geschichte. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen mit seiner Ex-Frau Cathy, mit der er immer noch in Kontakt steht, oder mit seiner Tochter Alix. Jason bleibt hin und hergerissen zwischen seiner schwierigen Vaterschaft und der Beziehung zu seiner Kindheit, in der Tante Dee eine wichtige Rolle spielt. Denn auch der Konflikt mit seiner Tante zieht sich bereits durch sein ganzes Leben. Er beschäftigt sich im Laufe des Romans mit seinen Alltagsproblemen sowie der eigenen Identität und dem Tod. Neben zahlreichen Geschichten und Erzählungen aus dem Alltag, spielt die Verarbeitung seiner traumatischen Erlebnisse eine große Rolle. So begibt sich Jason auf die Suche nach seiner Lebensgeschichte, seiner Vergangenheit, dem Mörder seiner Familie und stößt dabei auf einige Informationen, die ihm lieber verborgen geblieben wären.

Symbiose von Mensch und Computer

Auf seinem überhitzten Computer erscheint eines Tages eine Datei mit Gespenstern und Kindheitserinnerungen in Form von Bildern traumatischer Ereignisse aus seiner Vergangenheit, die er nach der Scheidung und den Herausforderungen der Vaterschaft verdrängt hatte. Er fühlt sich zu den Bildern hingezogen und regelrecht taucht in sie ein. Die Erzählstränge gleichen der eigentümlichen Verschmelzung, die Jason mit seinem Computer erlebt, dessen Bildschirm die Bilder seiner Vergangenheit auf skurrile Weise wiedergibt. Der Computer beziehungsweise die Bilder, die er erzeigt, stellen alle bereits erlebte oder verdrängte Erinnerungen seiner Kindheit dar, in die der Protagonist qua Bildschirm eintaucht. Jason wird eins mit seinem Computer und wandelt wie in einer Traumreise in seinem alten Kindheitshaus herum. Die Handlung führt die Leser und Leserinnen durch die Zeit bis hin zum Haus Fären. Doch was genau sucht er?

Oft ist der Prozess der Verschmelzung schwer zu erkennen, da der in Form unvermittelter Zeitsprünge – Analepsen und Prolepsen – erzählt wird. Manchmal gibt es Indikatoren, die den Zeitsprung einleiten. Jason setzt sich vor seinen Computer, fängt an zu arbeiten und nimmt plötzlich einen Geruch wahr, der ihn an Heizöl erinnert und damals aus seinem Kindheitshaus stammt. Kazmir, ein Art Wächter des Hauses Fären, das in einem nicht näher identifizierbaren Wald irgendwo in Osteuropa gelegen scheint, heizt den Kessel mit Hilfe des Heizöls ein und öffnet somit das Tor zwischen Realität und Unterbewusstsein. Jason ist mittendrin: « Maintenant qu’elle est partie, maintenant que je suis seul devant mon écran, le système à échappement de rencontre oscille, de nouveau synchrone sur sa fourchette de pendule. Les murs actuels se referment sur ceux d’alors, s’emboitent et se raccordent, libérant l‘odeur capiteuse du mazout qu‘elle a flairée tout à l‘heure, qui contient tout de mon histoire, mieux que les récits de tante Dee. » (S. 141).

Die häufigen Verschmelzungen mit dem Computer lassen sich als eine intensive Auseinandersetzung mit Jasons traumatischer Vergangenheit lesen. Immer und immer wieder wird er eins mit der Maschine und befindet sich in alten, verdrängten Erinnerungen wieder: « Mais à force de planer en altitude tel un vautour assoiffé de charogne, j’ai fini par piquer droit devant, foncer à travers le brouillard fourmillant du temps, atterrir sur le chemin de neige un soir d’hiver hors horaire, hors contrôle en solitaire, alors n’est-il pas stupéfiant que, connecté au flux haut débit, en dépit des variations de l’intensité noire grésillant dans le silence, j’aie fini par traverser l’écran de ma mémoire, par crever le plan ténébreux légèrement perlé sous la couche de verre, dont la matière grumeleuse, nuageuse, précipite des images de si loin téléchargées, entre deux eaux elles persistent, évanouies, redessinées, aussi languides que les flots subaquatiques ou flottent des filaments d’algues, translucides, convulsifs, suscitant soudain des spectres. Contre la paroi en cristaux liquides, ils viennent écraser leurs faces immatérielles, magnétiques, à leur rencontre j’avance la mienne, dans ce couloir de membranes musculeuses je progresse, j’y suis lové, blême ombilic suintant, convulsé, pitié. » (S. 242) Jason durchdringt den Bildschirm, rast durch den Nebel der Zeit und befindet sich schließlich in seinen Erinnerungen. Besonders verdeutlicht wird der Prozess dieser Technik/Natur–Fusion durch die Verwendung vieler naturverbundener aber computerspezifischer Wörter wie zum Beispiel: « Flüssigkristallen, Algenfäden, muskulöse Membrane und wolkige Materie. » Die Autorin verbindet durch diese Verwendung die natürliche reale Welt mit der virtuellen.

In dem Roman treffen die Leser und Leserinnen auf eine Sammlung von Charakteren, die sich auf subtile Weise miteinander verbinden. Jason beschreibt die Charaktere selbst als Kreaturen, die unter seinem Bildschirm hervorkriechen und nachts an seiner Tür kratzen: «Si je n‘étais si faible, si petit pour un risque aussi grand, j‘entreprendrais le voyage aux sources que Jack me conseille. Je reviendrais vers ces contrées sauvages afin de lever le doute, d‘apprivoiser les revenants qui viennent gratter nuitamment à ma porte, se glisser sous mon écran en cristaux liquides et réclamer d‘occuper le temps qui leur manque, le mien aussi me manque. » (S. 192).

Ein Teil der Charaktere, die er während der Verschmelzung in seinem alten Haus trifft, sind jedoch nicht real, sie existieren entweder nicht mehr, oder haben es nie: « Sigrine y est ma contemporaine hors du temps ainsi que tous ceux qui sont morts, démembrés, égorgés dans ma maison mentale, revenants comme elle. » (S.193) Oft ist nicht direkt erkennbar, ob die Charaktere real sind und sich Jason gerade in seinem Unterbewusstsein befindet, oder ob sich die Handlung in der Wirklichkeit abspielt. Erst einige Zeit später wird ersichtlich, in welcher Realität die Handlung der letzten Seiten spielt. Als Leser ist man teilweise überrascht, dass die Zeitsprünge gar nicht aufgefallen sind.

Ein besonderer Fokus liegt in dem Roman auf der Beziehung zwischen Jason und seiner Tante Dee. Eine einfache und reibungslose Kindheit hatte er nicht. Im Kindesalter ist seine Tante mit ihm geflohen und mit falschen Pässen und einer falschen Identität untergetaucht. Nach und nach enthüllen sich immer mehr Geheimnisse und Taten, die er lieber vergessen würde. So tauchen Bilder und Situationen auf, die er längst tief in seinem Unterbewusstsein verdrängt hat. Allgemein ist die Beziehung zwischen ihm und seiner Tante sehr negativ behaftet. Immer und immer wieder erwähnt er sie zwar, lenkt jedoch zügig vom Thema ab und redet ausschließlich negativ über die gemeinsamen Begegnungen. Es wird deutlich, dass Jason stark unter seinen Traumata leidet und sich durch den Computer und die Bilder, die er regelmäßig sieht, ausgiebig mit seinem Leben auseinandersetzen muss: « Les agents consulaires font leur tri. Ils contingentent les cas, selon leurs critères algorithmiques de classement nous indexent réfugiés de l´enfer soviétique, grâce à tante Dee qui ment comme elle respire. C’est sa nature, son démon ou son génie, douée comme elle l’est pour le fard, la feinte et le carnaval, quelle artiste, yohoo ! » (S. 198). Er hält nicht viel von seiner Tante. Jason bezeichnet sie als Lügnerin und als Künstlerin, da sie es schafft, die Menschen mit ihrer Art in ihren Bann zu ziehen und in Lügen zu verstricken. Sie wird oft als Bestie, Dämon und sogar als das pure Böse bezeichnet, da sie manipulativ ist und keine Rücksicht auf mögliche Verluste nimmt. Informationen, die Tante Dee zur Verfügung stehen, nutzt sie nur für ihre eigenen Zwecke und Vorhaben.

Computersprache und Adjektive

Programme sensible ist ein Roman der etwas anderen Klasse. Anne-Marie Garat hat eine interessante Art und Weise gefunden, den Posthumanismus mit einer wirren Geschichte eines zurückgezogenen Übersetzers und der Beziehung zu seinem Computer, der als Erinnerungsapparat fungiert, näher zu bringen. Der Computer, der ein eigenes Leben zu führen scheint, zeigt ihm eine narrative Realität und die Lücke zu einer in Vergessenheit geratenen Zeit. Die Dialoge mit dem Computer spiegeln seine Sehnsucht nach Verbindung mit der Gesellschaft und den Wunsch nach Versöhnung mit der Gesellschaft wider. Sie stellen Fragen nach der Rolle der Technologie in unserem Verständnis von Identität.

Anne-Marie Garats Programme Sensible ist wie ein komplexes Spinnennetz aus Erinnerungen und Technologie gewoben, dass die Leser und Leserinnen in die ungewöhnliche, virtuelle Welt der Erinnerungen entführt. Doch Vorsicht: Dieser Roman verlangt nicht nur volle Aufmerksamkeit, sondern auch eine gewisse Risikobereitschaft, um sich in seine verworrene Struktur zu vertiefen.

Die Autorin regt die Leser und Leserinnen gerade dazu an, die Handlung selbstständig zu entwirren, während sie sich ausgiebig mit den Themen Identität, Technologie und Trauma beschäftigen. Selten ist ein Roman und dessen Inhalt so verschachtelt, dass man mit eigener Interpretationskraft den Inhalt ordnen muss, denn einen roten Faden gibt es, ganz wie in Erinnerungsprozessen, definitiv nicht.

Die Stärke von Garat liegt eindeutig in ihrer poetischen Sprache und ihrem Talent Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen. Durch die Verwendung zahlreicher Adjektive und dem Jargon der Computersprache, die metaphorisch für Jasons Zustand benutzt wird, malt sie Szenen, die so lebhaft sind, dass sie sich regelrecht vor den Augen der Leser und Leserinnen entfalten. Doch genau hierin liegt auch eine Schwäche des Romans: Die detailreiche Sprache kann den Lesefluss und die Geduld der Leser und Leserinnen auf die Probe stellen. Teilweise häufen sich die Adjektive so stark, dass man den Überblick über das Gesagt verliert. Jedoch schafft es Garat durch die Menge der Adjektive eine düstere und beklemmende Stimmung zu erzeugen, die sich durch den gesamten Roman zieht. Besonders beeindruckend und hervorstechend ist, dass es Garat gelingt, das komplexe und einsame, fast schon dunkle Leben von Jason so nachvollziehbar zu beschreiben, dass man sich teilweise mit ihm, seinen Problemen und der Handlung identifizieren kann.

Kontrast zwischen Natur und Großstadt

Die Beziehung zwischen Mensch und Technologie ist ein zentrales Thema, das in Garats Werk immer wieder erwähnt wird. Es wird eine Welt gezeigt, in der die Grenzen zwischen Realität und Virtualität verschwimmen. Besonders die Personifizierung des Computers ermöglicht es dem Protagonisten, eine innige Beziehung mit seinem Rechner aufzubauen. Er nimmt die Maschine schon fast nicht mehr als solche wahr, viel eher als Menschen der atmet, zittert und vibriert. Garat regt hier außerdem zu Diskussionen über die aktuelle Gesellschaft und ihrer Abhängigkeit von Technik und dem Internet an. Die dystopischen Elemente, die in der Handlung versteckt sind, könnten an manchen Stellen mehr Tiefe vertragen, um die Spannung aufrecht zu erhalten und zu verstärken.

Neben den aufgegriffenen Themen Mensch und Technologie liegt ein besonderer Fokus des Romans auf der Beziehung zwischen der Pariser Großstadt und der rauhen Natur, denn das geografische Szenario symbolisiert die Auflösung des Seins in der modernen Stadt. Jason wohnt am Pariser Stadtrand und bevorzugt dieses ignorierte Viertel, um seine Privatsphäre zu schützen, die durch das Internet verschwommen zu sein scheint: « Ainsi ai-je l’impression de feinter le quadrillage étatique baisé de capteurs sécuritaires, les flux du soir asphyxié dans les souterrains de la ville, circulation sous vidéosurveillance, repérage à puces, passe électronique, billetterie et traçage au code-barres, je paie en cash désormais. J’ai résilié ma carte Navigo, no profil sur Facebook je soigne mon incognito, même si les angles morts se font de plus en plus rares. » (S. 13). Den Lesern und Leserinnen werden gesellschaftliche Dilemmata aufgezeigt. Doch Jason sind die Umstände, sein Umfeld und die Umgebung nicht gleichgültig. So setzt er sich unter anderem für seine Nachbarin Fatou ein und versteckt sie vor unvorhersehbaren Razzien. In seinen Erinnerungen, beziehungsweise während der Verschmelzungen, ändert sich das Szenario allerdings drastisch. Plötzlich ist es nicht mehr die graue, triste Großstadt, die kontrolliert wird, sondern er befindet sich im Haus Fären – in seinem Kindheitshaus. Das Haus Fären spiegelt den Aspekt der Natur wider. Es befindet sich in Estland im Wald und ist umzingelt von Natur. Auch die Farben des Bildschirms erinnern ihn an seine Kindheit und an den nordischen Schnee.

Die Entwicklung der Charaktere bleibt ebenfalls etwas unklar und offen. Obwohl die Autorin verschiedene Figuren einführt, fehlt es an deutlichen, emotionalen Verbindungen zu ihnen. Dies mindert die emotionale Resonanz und erschwert es den Lesern und Leserinnen, sich wirklich in ihre Schicksale einzufühlen.  

Programme sensible ist zweifellos ein anspruchsvolles Werk, das seine Leserschaft ermutigt, über die Grenzen der herkömmlichen Erzählstrukturen hinauszudenken. Der Roman lädt dazu ein, über die Auswirkungen der technologischen Fortschritte auf unsere menschliche Psyche nachzudenken. Doch während das Buch für einige ein dystopisch, posthumanistisches Abenteuer sein mag, könnte seine Komplexität und das Fehlen emotionaler Verbindungen für andere Leser und Leserinnen zu einer Herausforderung werden, denn teilweise verliert man sich selbst in dem Roman. Der Posthumanismus bezieht sich primär auf künstliche Formen der Intelligenz. Da der Fokus aber nicht aktiv auf der Maschine des Protagonisten und dessen künstlicher Intelligenz liegt, sondern vielmehr auf den Erinnerungen und Erlebnissen, die Jason eben durch die Maschine sieht, erlebt und verarbeitet, fungiert die Maschine als eine Art Werkzeug, um aus der Realität zu flüchten. Ab einem gewissen Punkt jedoch, erlangt die Maschine Macht über Jason und entzieht sich der Kontrolle des Nutzers, indem sie wahllos und ohne Vorwarnung Bilder seiner Vergangenheit generiert und ihn somit in den Bann der Erinnerungen zieht. Der Benutzer bleibt ihr ausgeliefert. Der Roman weist somit einige posthumanistische Merkmale auf. Besonders auffällig ist eine Wechselwirkung, die sich durch den gesamten Roman zieht. Nicht nur Jason verschmilzt mit dem Computer und seinen Erinnerungen, auch der Inhalt des Romans verschmilzt ineinander.

Programme Sensible ist ein außergewöhnlicher Roman, der mit den Dimensionen Realität und Virtualität spielt. Dabei bleibt der skurrile Widerspruch bestehen, dass nämlich der zweidimensionale Bildschirm dreidimensionale, tiefgehende Erinnerungen hervorrufen kann, während die Charaktere in der dreidimensionalen Welt ungewöhnlich zweidimensional daherkommen. Für diejenigen, die sich auf ein Abenteuer einlassen wollen, ist es eine Reise, die sowohl herausfordernd als auch faszinierend sein kann.


Steckbrief und Rezension von Anna Maria Landahl im Rahmen des B.A. Seminars von Dr. Sofina Dembruk

Beiträge zur französischen Literatur

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Das Projekt


Bildquelle:

Anne-Marie Garat – https://www.actes-sud.fr/actualites/deces-danne-marie-garat

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