Werk – Ein Archäologenteam findet in den Katakomben einer alten Kathedrale drei Leichen. Handelt es sich um Überreste von Geistlichen oder sogar um die Erbauer des Monuments? Schnell wird klar, dass die Leichen dort erst seit kurzer Zeit liegen und wahrscheinlich gewaltvoll überwältigt und eingesperrt wurden. Kommissar Fournier und sein Team übernehmen die spannenden Ermittlungen, welche sie in die Vergangenheit führen und so manche Fragen aufwerfen. Die Leser*innen entdecken die Vergangenheit der Stadt Genf, mit ihren unterirdischen Gängen und Geheimnissen auf einer mysteriösen Jagd nach der Wahrheit. Der Roman ist fesselnd geschrieben und führt sowohl die Arbeit der Polizei als auch das Gebiet der Archäologie vor Augen. Eine spannende Lektüre, die einen nicht mehr loslässt. VITA – Francis Parel, Autor, Fotograf, Journalist, Produzent beim „Radio Suisse Romande“, gewinnt 1979 Preis der „Fondation de la Vocation“ für seine Polarexpeditionen, Expeditionen und Reisen in 135 Städte in 22 Ländern, Hobby: Rockschlagzeuger | Werk – Es würde sich lohnen, das Buch ins Deutsche zu übersetzen. Parel schreibt sehr anschaulich in einem leicht lesbaren Stil, mit einfachem Fachvokabular und ist somit einem großen Lesepublikum zugänglich. Außerdem werden Kriminalromane, vor allem im Ausland spielende wie „Le jour et l’heure“, immer populärer und finden großen Anklang bei der deutschen Leserschaft. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Jacqueline Wacker im Mentorat mit der Übersetzerin Claudia Hamm
Deutsche Übersetzung
Prolog
Genf, Dienstag, den 4. Juli 1995
An jenem Morgen herrschte in der Kathedrale Saint-Pierre große Aufregung. In dem für Besucher verbotenen Bereich hatte ein Team von Archäologen etwas freigelegt, das aussah wie das Fundament eines Durchgangs. Bis dahin war es von den vielen Trümmern verdeckt gewesen, die zufällig bei der Instandsetzung des Kellers in den Siebzigerjahren angefallen waren. Danach hatte die Kathedrale nach und nach ihre ursprüngliche Bestimmung wiedererlangt, auch wenn die Ausgrabungen weitergeführt worden waren. Man hatte wieder Messen gefeiert und mehrere, nun gesicherte, Ausgrabungsstätten für die Besucher zugänglich gemacht.
Doch abseits davon wurde in der Unterkirche des zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert wiedererrichteten Bauwerks, in dem Guillaume Farel am 8. August 1535 das erste Mal die Reformation verkündigt hatte, in den dunklen, feuchten Ecken vorsichtig gegraben, abgestaubt und aussortiert, und es wurden neue Spuren und Schätze entdeckt. Die Forscher erinnerten dabei an Kinder, die an Weihnachten unter dem Baum die Geschenke erblickten. Das halbe Dutzend Spezialisten stand unter der Leitung von Pierre Béguin, Doktor der Archäologie und Diplomanthropologe an der Universität Freiburg. Sein Team bestand aus drei professionellen Archäologen, darunter seine Assistentin, und zwei Studenten im letzten Semester. Wenn einer von ihnen etwas entdeckte, war das selten eine falsche Fährte, und sofort versammelten sie sich um den Leiter des Grabungsabschnitts.
Sie hatten Lichter mitgebracht, in deren Schein das Gewölbe wie eine Katakombe aussah, was es irgendwie auch war. Auf dem Boden lagen die üblichen Werkzeuge für Erdarbeiten und solchen für feinere Arbeiten wild durcheinander. Zu Beginn arbeiteten sie meist mit Hammer und Meißel, doch sobald ein neues Detail entdeckt wurde, tauschten sie das einfache Werkzeug gegen Spezialinstrumente. Auf einem Dreifuß standen ein Fotoapparat und ein Blitzlicht bereit, um die neuen Funde, sobald sie auftauchten, festzuhalten. Die Fotos sollten das Ausgrabungsverzeichnis illustrieren. Die jüngste Archäologin zog den Leiter heran und deutete aufgeregt auf das, was das Team in so heftige Aufregung versetzt hatte.
„Vielleicht ist das ja eine Mauer, die aufs Fundament trifft, aber es kann keine von den äußeren Ringmauern sein. Sie scheint wesentlich älter und liegt unter dem aktuellen Niveau.“
„Dann wundert’s mich auch nicht, dass sie nicht in unserem Verzeichnis steht. Wir nehmen mal eine Probe und schicken sie ins Labor, dann erfahren wir ein bisschen mehr. Mit diesem Material wurden die Molasse-, Kalk- und Sandblöcke zugespachtelt, von daher würde ich sagen, dass die Mauer etwa aus dem 10. Jahrhundert stammt.“
„Also bevor die Kathedrale wieder aufgebaut wurde. Scheint logisch, sonst hätte man sie ja auch längst entdeckt.“
„Gut möglich. Allerdings würde ich gerne wissen, was dahinter ist. Vielleicht führt die Mauer zu einem der Gänge unter der Altstadt. Aber solange wir nicht nachschauen, können wir‘s nicht wissen.“
„Wir könnten versuchen, sie zu röntgen, oder?“
„Würde mich wundern, wenn man durchsehen könnte, dafür scheint sie mir zu massiv, aber vielleicht hilft uns das gerade, um ihre ungefähre Dicke abzuschätzen. Also gut, Nadine, du gehst ins Hauptlager und holst das Röntgengerät, und auf dem Weg dahin bringst du dem Laborchef dieses Fragment. José, du läufst los und holst die Übersicht von allen unterirdischen Gängen, die gibt uns vielleicht einen Hinweis.“
In dieser archäologischen Welt wurde oft der Konjunktiv benutzt. Zumindest bis sich die Hypothesen bestätigten. Erst am nächsten Tag konnte sich Pierre Béguins Team ein ungefähres Bild der Anlage machen, ähnlich wie ein Arzt bei einer Anamnese. Das Gemisch, mit dem die Mauer befestigt worden war, stammte tatsächlich aus dem 10. Jahrhundert, und die Steinblöcke kamen aus den Steinbrüchen, aus denen die Kathedralenbauer dieser Zeit ihr Material bezogen hatten. Soweit also nichts Besonderes. Was danach folgte, sollte die Forscher allerdings gehörig aus der Fassung bringen.
Die ungefähr zwanzig Zentimeter dicke Mauer bestand aus dreißig mal dreißig Blöcken. Das Archäologen-Team entfernte vorsichtig vier der untersten, die entstandene Öffnung war groß genug, um eine Lampe durchzustecken. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Für die zwei Studenten war das alles neu, aber die vier Forscher wussten sehr wohl, dass ihre Arbeit oft in herber Enttäuschung endete. Bis zu dem Tag, an dem sie das freilegten, wovon sie heimlich, aber ohne große Hoffnung, geträumt hatten. Manche hatten Glück, andere suchten ihr ganzes Leben lang, ohne etwas zu finden, was sie in die Geschichtsbücher eingehen ließ. Doch sie alle waren davon überzeugt, eines Tages den Heiligen Graal oder Tutanchamuns Grab zu finden. Denn tief in jedem Archäologen schlummerte ein Howard Carter. Oder in den Jüngeren ein Indiana Jones.
Üblicherweise kam es dem Teamleiter zu, den ersten Blick auf das Gefundene zu werfen. Pierre Béguin hatte schon viel gesehen. Er hatte Momente erlebt, an die er sich für immer erinnern würde, aber auch solche, die dem Vergessen bestimmt waren, die die Zeit wegspülte, so wie sie die Spuren auslöschte, die Menschen hinterlassen hatten. Aber Pierre Béguin war nicht abgestumpft, sondern neugierig und ungeduldig wie am ersten Tag. Er steckte den Kopf durch die Öffnung, so wie er es bei einer Grabkammer im Inneren einer Pyramide getan hätte. Doch diesmal standen ihm die Haare zu Berge. Unsicher darüber, was er gerade flüchtig gesehen hatte, verlangte er mehr Licht. Er fluchte gut eine Minute, dann zog er seinen Kopf zurück. Seine Mitarbeiter kannten ihn gut und waren von seinem Vokabular, das in die verruchtesten Hafenviertel gepasst hätte, nicht besonders überrascht, doch er war noch nie so leichenblass und dem Erbrechen nahe aus einer Ausgrabungsstätte herausgekommen.
„Gottverdammt, ich fass‘ es nicht. Sowas habe ich in meiner ganzen verdammten Karriere noch nicht gesehen. Skelette, ja, auch haufenweise, aber nicht sowas.“
„Wovon sprichst du überhaupt… könntest du uns vielleicht mal sagen, was da überhaupt ist?“
„Leichen, mindestens drei verdammte Leichen, vielleicht auch mehr, keine Ahnung, ich hatte nicht genug Licht. Das ist eine Art Gruft, und die scheint auch von der anderen Seite zugemauert zu sein.“
„Na gut, aber darf ich dich daran erinnern, dass wir in einer jahrhundertealten Kathedrale graben? So überraschend ist das nun nicht, da eine Gruft oder Krypta zu finden. Und dass sie darunter Knochen von den Geistlichen begraben haben, haben wir auch schon woanders gesehen.“
„Ja, klar, aber das ist nicht dasselbe. Die scheinen teilweise mumifiziert, aber gleichzeitig sieht es nicht so aus, als wären die schon seit Jahrhunderten da. Eher, als hätte man sie erst vor ein paar Jahren dort eingemauert.“
„Ich glaube, jetzt drehst du ein bisschen durch. Wir machen die Öffnung mal größer und schauen uns die Kollegen mal ein bisschen genauer an…“
Steckbrief und Übersetzung von von Jacqueline Wacker im Mentorat mit der Übersetzerin Claudia Hamm
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Bildquelle:
Francis Parel – https://www.rts.ch/info/culture/livres/13192293-francis-parel-et-ses-momies-sous-la-cathedrale-de-geneve.html
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