Werk – Nach dem Tod ihres Vaters kehrt die Krankenpflegerin Leonor in ihre Heimat Campanhã , in der Nähe von Porto, zurück. Beim Aufräumen der Hinterlassenschaft ihres Vaters entdeckt die Protagonistin Briefe von ihm, die neue Details über sein Leben in Afrika und später in Brasilien offenbaren. Maboque ist eine süßsaure Frucht aus Angola, und ungefähr so können Leonors Reisen in die Vergangenheit und später konkret nach Brasilien beschrieben werden. Mit viel Einfühlungsvermögen erzählt Tina Vieira diese portugiesischsprachige Familiengeschichte, die sich in drei Kontinenten abspielt (Südamerika, Afrika und Europa) und deren Mitglieder genauso entfernt voneinander sind wie die Länder, aus denen sie stammen. Vita – Tina Vieira, geboren 1971 in Luanda, Angola, zog als kleines Kind nach Rio de Janeiro, Brasilien, wo sie aufwuchs. Dort studierte sie Journalismus und Psychologie. Sie arbeitete für die Zeitung O Globo und für den Fernsehsender TV Globo. 2009 schloss sie einen Doktorstudiengang in evolutionärer Psychologie an der Universität von Vigo, Spanien ab. Sie lebt noch dort und arbeitet im Bildungsbereich. | Werk – Diese emotionale Familiengeschichte verbindet berührende Gefühlsbeschreibungen mit den kulturellen Eigenarten aus Portugal, Angola und Brasilien. Ein solches Werk würde einen großen Beitrag zur portugiesischsprachigen Literatur des deutschen Buchmarkts leisten, da sie zeigt, wie schön und vielfältig der portugiesischsprachige Raum ist. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Winston Martins Junior im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Deutsche Übersetzung
Die Beerdigung meines Vaters fand an einem winterlichen Sonntag im Februar statt. Der Friedhof in Campanhã war fast menschenleer. Wind und Kälte verscheuchten diejenigen, die dort gewöhnlich hingingen, um Gräber zu putzen, Blumen und Gelübde ewiger Liebe zu erneuern. Die Wenigen, die den Sarg begleiteten, hatten die Mantelkragen hochgeschlagen, und die Hände in den Taschen verhinderten, dass wir unsere Tränen abwischten.
Eigentlich war ich die Einzige, die weinte. Die anderen Anwesenden waren vier oder fünf Nachbarn, viel zu alt, um noch zu denken, es sei ihre Pflicht, zu der Beerdigung zu gehen. Sie gehörten einer anderen Zeit an, die Armen. Wer glaubt denn noch, dass die Anwesenheit bei Beerdigungen sei ein Zeichen von guter Erziehung? Doch dank dieser Geste der Kameradschaft war ich an jenem Sonntag nicht allein mit dem Sarg. Elf Geschwister und Gott weiß wie viele Neffen und Nichten gehabt zu haben, hatte meinem Vater nicht viel genützt. Mich überkommt eine sinnlose Neugier, wie meine Beerdigung als Einzelkind wohl werden wird, wer bei meinem Abschied dabei sein wird, und sei es, um den gesellschaftlichen Gepflogenheiten Folge zu leisten.
Mein Vater, der in der Familie „der Neun“ war (Spitzname, der von seiner Stellung in der Geburtsreihenfolge herrührte), war am Ende seines Lebens allein. So allein, wie er immer gewesen war. Oder wie er es immer schon hatte sein wollen. Die Geschwister lebten seit langem über die ganze Welt verteilt: Frankreich, Schweiz, USA, Mozambik, so wie er selbst in Angola und danach in Brasilien gewesen war, bevor er nach Portugal zurückkehrte. Die Nachkommenschaft war im Verhältnis zu dem Bedürfnis, ihr Kleingeld woanders zu verdienen, zerstreut worden. Oder zumindest erzählte er, dass nach so langer Zeit er als Einziger zurückgekehrt war. Er sagte, er wolle in portugiesischem Boden begraben werden. Nun, hier hast du ihn, Vater, den gesegneten portugiesischen Boden. Was nützt er dir? Nach dem Tod schmecken alle Böden gleich, Sprachen und Akzente zerkrümeln, mischen sich mit dem Staub, der dich für immer schlucken wird.
Der Wind schnitt in die von der Kälte geröteten Gesichter, und ich merkte, dass sich die Anwesenden das Ende des Ritus herbeisehnten. Als der Sarg bei denen meiner Mutter und meiner Großeltern untergebracht war, warf der Totengräber die erste Schaufel Erde darauf. Ein Zeichen, dass es bald vorbei war. Das – spärliche – Publikum versteht und macht Anstalten, auf mich zuzukommen, um mir ein letztes Mal ihr Beileid zu bekunden, mir zwei Wangenküsse zu geben oder mir einfach die Hände zu schütteln.
‹‹Wann immer Sie etwas brauchen, klopfen Sie bei mir an, kleine Leonor.››
‹‹Mein Beileid. Sie wissen schon, Sie können auf uns zählen, Kleine.››
‹‹Jetzt hat er seinen Frieden. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus.››
Lange hatte mich niemand mehr „Kleine“ genannt, und dem Anlass zum Trotz gefiel es mir. Allmählich gingen alle Richtung Ausgang des Friedhofs. Ich beschloss, ein bisschen länger zu bleiben, um auszukundschaften, wer von nun an seine Nachbarn sein würden. Direkt neben dem Grab befindet sich ein Mausoleum, das den Kämpfern des Angola-Kriegs gewidmet ist, Männern, die in Übersee starben, wohin auch er gegangen war, aber nicht zum Kämpfen. Junge Nachbarn aus Campanhã, die eines Tages davon geträumt hatten, den Feind des Reiches zu bekämpfen. Oder einfach dazu gezwungen worden waren und auf die Heirat wartende Bräute, Kinder im Bauch oder sehnsüchtige Eltern und Geschwister zurückließen. Es ist unmöglich, die Geschichte von jedem einzelnen zu kennen, dieses Wissen ist uns wie ein biblisches Verbot untersagt: ‹‹Vom anderen wirst du nie etwas wirklich Wichtiges erfahren››.
Steckbrief und Übersetzung von Winston Martins Junior im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Beiträge zur portugiesischprachigen Literatur
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Bildquelle
Tina Vieira – [https://www.youtube.com/watch?v=3ZwuEdr_3GI]
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