Werk – Im Jahr 2112 ist Südeuropa einem unterdrückerischen und rassengetrennten Regime unterworfen, das von China aufgezwungen und vom General Dilong Yazi, dem Leiter des Sicherheitsdienstes von Euro-China, geleitet wird. Alda, eine Schmugglerin mit gemischtem Blut, chinesisch und galicisch, ist für das Regime, das die Südeuropäer, die „Aceitunos“, versklavt, eine rassische Abscheulichkeit. Trotz ihres halben chinesischen Blutes wählt der Widerstand Alda, um für die Befreiung der „Aceitunos“ zu kämpfen. Alda, ihre Gefährten und der Vagabund Xan-Pericán müssen durch die segregierten Gebiete, die „Aceitustane“, reisen, um in sechs Klöstern die Teile einer Waffe zu sammeln, mit der sie den Feind besiegen können. In den sechs Abteien werden ihnen außerdem sechs Worte übergeben, die das Ergebnis monastischer Reflexion über das sind, was ein Jahrhundert zuvor zur Spaltung und Niederlage der Europäer führte. Die futuristische Dystopie, auf der der Roman aufbaut, ist eine gnadenlose, bissige und unorthodoxe Reflexion über Europa im 21. Jahrhundert und dient als Gelegenheit, die Ursachen seines Niedergangs zu erforschen. Durch eine polyphone Geschichte, in der sich Epik und Satire harmonisch verbinden, stellt der Autor einige der heiligen Ideen unserer Zeit in Frage und entdeckt einige längst entweihte alte Mythen wieder. | Der Autor – Seit ein paar Jahren lebt er in Israel, ein paar Kilometer nördlich von Tel Aviv, an der Küste. Ricardo Añino ist 48 Jahre alt. Er und seine Frau Rosa haben drei Kinder. Er wurde am Meer in La Coruña geboren. Mit acht Jahren verließ er seine Heimatstadt und hat es seitdem nicht geschafft, lange an einem Ort zu bleiben. Seine Kindheit verbrachte er auf den Kanarischen Inseln, seine Jugend in Madrid. Er studierte in Montreal und später in Madrid, Paris und erneut in Madrid. Er mochte Mathematik, entschied sich jedoch, Physik zu studieren, um etwas weniger Abstraktes zu tun. Doch wie es seiner Natur entsprach, wandte er sich schließlich der Philosophie zu. Und da man ja von etwas leben muss, wurde er Diplomat. Seitdem hat er in Paraguay gelebt (wo er die Asados genoss und wo seine erste Tochter geboren wurde), in Senegal (wo er die Menschen und deren Lächeln schätzte), in Südafrika (wo er menschliche Spaltung und natürliche Schönheit erlebte), in Madrid (wo er von Familie und Freunden umgeben war), in Costa Rica (wo er den Wald liebte und seinen Hund hatte) und jetzt in Israel (wo er über Erinnerung und Entschlossenheit nachdenkt). Auf seiner Reise hat er viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt. Sein Beruf erfordert, dass er Verwaltungsberichte schreibt, aber die Geschichten, die er erlebt, drängen darauf, erzählt zu werden. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Ricardo Braga Cardona im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Deutsche Übersetzung
Besser sterben als leben ohne zu töten
Kapitel 52
Zoo
Berlin empfing ihn feucht und warm, er fing sofort an zu schwitzen. Seine verbliebenen Verletzungen schmerzten am ganzen Körper. Die Narbe an seinem Unterarm vermischte sich mit Blut und Schweiß.
„Ich begebe mich in deine Hände.“
Er grüßte Leutnant Piet Retief. Es schüttelte ihn am ganzen Körper. Er brauchte ihn. Er benötigte die Hilfe seines Peinigers, des Soldaten der seine Tochter und seine Mutter gefangen hielt. Er zeig-te ihm nicht sein ganzes Blatt, er hatte noch ein Ass im Ärmel.
„Ich helfe dir mit Salimata,“ sagte Piet kühl. „Deiner Tochter Vera und deiner Mutter geht es gut, ich habe sie gesehen bevor ich hierhin gekommen bin.“
„Was willst du von mir?“
„Ich will, dass du nicht noch einmal vom Weg abkommst. Halte dich an den Plan“, sprach General Dilong mit Teufelszunge. Das Zimmer des Motels, in dem sie sich befanden, war in schäbigem Zu-stand. Er konnte nicht anders, als das übel zugerichtete Bett zu betrachten.
Während wir uns unterhielten, fiel mir die dritte Sphäre in die Hände. Er streckte die Hände aus, als ob nichts fehlen würde. „Ich habe heute mit meinem Partner kommuniziert.“
„ Gib Acht mit wem du dich abgibst.“
„Weißt du, wer es ist? Es ist Zimomenos, er steht bei euch unter Vertrag.“
Jetzt werden sie auch noch von einem Verrückten ohne Sprache begleitet, das war nicht geplant. Piet Retief wollte ihm zeigen, dass er ihm immer einen Schritt voraus war.
„Genauso wenig war es vorgesehen, dass ihr meine Tochter entführt.“ Alda stellte sich ins Blickfeld des Leutnants und der Pritsche.
„Ich helfe dir sie zu befreien, aber das Mädchen stört dich. Sie stört uns bei unserer Mission.“ „Ein-mal befreit musst du sie in Obhut von jemand anderem geben.“
„Meiner Mutter?“ Schlug er mit Kühnheit vor. Alda entfernte sich und wandte ihren Blick vom Bett ab. Sie war bereit, den Preis für Ihre Befreiung zu zahlen. Retief verstand die Geste und zögerte keinen Moment. Eine Wolke überschattete seinen Blick.
Er wandte sich vom Himmel ab und ein Sonnenstrahl brach durch das Fenster und blendete den Leutnant in seiner Sicht. Er schreckte zurück. Wie ein Blitz prägten sich die Worte Ons vir Jou auf seiner Netzhaut ein. Retief gefror das Blut in den Adern.
Nachdem sich die Wolken, das grelle Licht, die Angebote und Verlockungen verzogen hatten, machten sie sich an die Arbeit. Unterwegs: Salimata. Auf den Straßen Berlins fiel das Duo nicht auf. Zwei Weißhäute. Er, mit der rötlichen Nase, die ihm der Wein im Laufe der Jahre verliehen hatte. Sie mit einer leichten Röte auf den Wangen. Ihre chinesische Herkunft war ihnen anzusehen. Die galizisch-chinesische Frau war den Deutschen vom Phänotyp nicht unähnlich.
Die Straßen waren ruhig, sauber und nüchtern gestaltet. Kopfsteinpflaster, schmiedeeiserne Stra-ßenlaternen, elegante dreistöckige Häuser. Riesige Granitblöcke rahmten tausende von kleinen Backsteinen an den Fassaden ein. Der Bezirk Kreuzberg zeugte von einer vergangenen Pracht, die ohne großen Aufwand in Schuss gehalten wurde. Es genügte die Kopfsteinpflaster täglich und die Hauswände einmal im Monat zu schrubben.
Sie erreichten den Zoo. In den Gassen des Tiergartens wimmelte es von Menschen, vor allem Männern, Händlern vieler Rassen, Deutschen und Chinesen, aber auch Indern, Latinos und sogar Arabern. Piet Retief ergriff Aldas Arm. Er spürte ihre Haut an seiner eigenen, die er eine halbe Stunde zuvor noch abgelehnt hatte. Er erschauderte. Er nahm ihre linke Hand. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen und preisgeben, dass sie auf der Suche nach jemandem waren.
„Deine Tochter ist Frischfleisch.“ „Sie wird nicht an der frischen Luft festgehalten,“ erklärte der Leutnant taktlos.
Die Schilder des Zoos waren noch vorhanden. In den Käfigen für Makaken, Schimpansen und an-dere Primaten stapelten sich minderjährige Mädchen und Jungen. Sie waren schmutzig, ihre schwachen und geschwärzten Zähne ließen auf schlechte Ernährung und schlechte Pflege schlie-ßen. Die meisten von ihnen wurden als Hausangestellte oder als Bergarbeiter verkauft. Sie wurden in Paketen von 12 oder sogar 30 Stück verkauft. Die Großhändler brachten sie in ihre Städte und verkauften sie stückweise.
In der Höhle des Löwen stritten sich zwei Frauen Ende zwanzig um ein Stück gebratenes Hähn-chen. Ein lüsterner Wächter hatte ihnen den Vogel zugeworfen. Ihre nackten Körper waren prächtig und der Grube des Dschungelkönigs würdig, doch Narben zierten ihre Gliedmaßen. Der Lärm war so groß, dass Piet Retief bis zum Ende des Kampfes stehen blieb. Andere Händler taten es ihm gleich. Siegerin war ein Mädchen mit heller Haut, vielleicht serbischer Abstammung. Die deutschen Zuschauer jubelten. Die Entrüstung der Araber und Latinos, die auf die Unterlegene, eine dunkel-häutige mit schwarzem Haar, vielleicht eine Andalusierin oder Griechin gesetzt hatten, waren ent-täuscht über den Verlauf. Sie blickten wie Verkäufer auf die Verliererin hinab.
Die Gewinnerin nagte dem schwer verletzten Skelett nicht die Haut ab, sondern übergab die Tro-phäe unterwürfig einer rothaarigen Frau, die am Boden der Grube auf schwarzem Granit saß. Der Körper der Königin des Rudels war unbekleidet, ihre helle Haut makellos und nur mit einer Unzahl von Sommersprossen übersät. Nur ein Mal an ihrem Hals verriet, dass man einst versucht hatte ihren, Geist zu brechen.
„Und dafür soll man leben?“ Seufzte Alda, aber Retief hörte sie nicht. „Die Chinesen sind die, die am besten zahlen. Die rote Löwin könnte in Guandong oder Fujian landen.“
Piet Retief war nie in China gewesen, aber er konnte die Namen der Provinzen so aussprechen, als arbeite er schon seit Jahren für das chinesische Reich.
„Meine Tochter…“, entgegnete Alda.
Ein kleines Mädchen mit lockigem Haar. Retief packte Alda am Unterarm und sagte: „Das ist es, was wir kaufen wollen.“
Sie gingen in die nordwestliche Ecke des Zoos, ein Bereich mit der Bezeichnung europäische Tiere. Dort waren Sklaven aus dem chinesischen und slawischem Raum des deutsch-russischen Grenz-gebietes eingesperrt. Alda gab sich Mühe, sich nicht zu übergeben. Sie schaltete ihren Verstand aus. Sie musste den Anschein erwecken, eine Käuferin zu sein. Sie setzte einen neugierigen aber ausweichenden Blick auf, einen entschlossenen aber lockeren Gang. Piet Retief wusste nicht, wie man sich verstellt, er wusste nur, wie man sich wie ein Polizist verhält. Aber das war kein Problem. Im Tiergarten gab es viele Polizisten. Jeder Handel war legal und wurde überwacht und im Rahmen der deutschen Gesetzgebung abgewickelt: Sauberkeit, egal wie schmutzig das Geschäft war, Sparsamkeit, trotz der enormen Gewinne.
„Was suchen sie, kann ich ihnen helfen?“ bot ein Deutscher mit katalanischem und griechischem Akzent an.
„Wir brauchen keine Mittelsmänner“, stieß Piet Retief ihn weg.
Das Pärchen Retief-Maluca ging mehrere Male um die Käfige herum. Der für die Sklaven reser-vierte Raum, nahm rund einen halben Hektar ein. Braunbär, Wolf, iberischer Luchs, Auerhahn, Stier, Leguan, Schwan: Die alten Metallschilder in germanisch-griechischer Schrift dienten als Trä-ger für Pappschilder, die eine nostalgische und verwirrende Reise durch Länder ankündigen, die einst europäisch waren und heute in den erotischen Fantasien der Käufer wieder aufleben. Jonia, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Herejía Albignese, Al-Andalus, Tarraconensis, Toskana, Sizili-en und Malta. Typischer oder untypischer Weise wurden auf diese Schilder Gruppen von Frauen und Kindern mit unterschiedlichen Hauttönen, mit glattem oder lockigem Haar, und kaleidoskopischer Iris angesprochen.
Steckbrief von Ricardo Braga Cardona im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Beiträge zur spanischsprachigen Literatur
Beiträge zu anderen romanischen Sprachen
Bildquelle:
Ricardo Añino – https://editorialadarveblog.blogspot.com/2018/11/entrevista-ricardo-anino-autor-de-mejor.html
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