Werk – Eine Analyse der Beziehung zwischen Menschen und Technologie: in diesem Werk beschäftigt sich der Autor kritisch mit den Informationstechnologien, und der Grenze zwischen den Informationstechnologien und der Gesellschaft, die nur scheinbar existiert. Geschickter Einsatz von Metaphern der KunstBezug zu Romanen, die sich mit Zukunftsutopien beschäftigen VITA – Javier Moreno, 51 Jahre, Abschluss in Mathematik und Komparatistik und arbeitet als Schriftsteller und Journalist, er interessiert sich besonders für die Verbindung zwischen menschlicher und maschineller Produktion. Neben Büchern veröffentlicht er auch Artikel. | Werk – Die neuen Technologien und Sozialen Medien sind auch in Deutschland ein wichtiges Thema. Javier Moreno schafft es, dass für die meisten unverständliche und trockene Thema der Algorithmen, der sozialen Medien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft in einer besonderen Weise zu erklären, indem er die Verknüpfung von Kunst, Philosophie, Technologie und Gesellschaft. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Fiona Bönsch im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Deutsche Übersetzung
Kapitel VII
Eine neue Perspektive
Ich legte meine Hand auf den Bildschirm, ich wühlte zwischen den Streifen des
[Testbilds,
wie Sand oder wie bunte gemahlene Kreide,
und grub einen Totenkopf aus:
Der Totenkopf des Speakers, der Objektivität.
Juan Andrés García Román
In Wahrheit ist es nicht so, dass die Perspektive verschwunden wäre, sie hat sich einfach nur verschoben. Die neue Perspektive ist vielleicht nicht sensu stricto vom Bild geleitet, und sicherlich erlaubt sie dem Schaffenden in sein Werk einzugreifen, aber sie unterliegt einem
Mechanismus, dessen Regelwerk so perfekt scheint, wie der Fluchtpunkt eines Renaissancegemäldes.
Es handelt sich um Algorithmen, die das Verhalten in den sozialen Medien regulieren, die die Eignung zur Einstellung einer Person beurteilen, die ein Produkt, eine Lehrkraft, ein Restaurant oder ein Theaterstück bewerten.
Der Algorithmus erfüllt die Funktion einer neuen Objektivität. Er liefert eine unstrittige Sichtweise. Algoritmo dixit. Wir lassen den Algorithmus unser Leben organisieren und er verwandelt es in eine Timeline, in eine Story. Wir überlassen es ihm, eine Serie oder ein Restaurant für uns auszusuchen, er nimmt uns die mühsame Aufgabe ab, für uns selbst zu entscheiden.
Der Algorithmus ist wie auf einem mittelalterlichen Fresko der Pantokrator, der die Rechtschaffenen von den Sündern scheidet, die guten von den schlechten Arbeitern, die brauchbaren von den unbrauchbaren Kandidaten, diejenigen, die so ticken wie ich und den anderen, die mich nicht liken. Jedes Mal, wenn wir denken, wir hätten die vierte Wand niedergerissen, gibt es immer irgendwen, der bereit ist, sie wieder aufzubauen. Und das, was es auf der anderen Seite gibt, sind Millionen Code-Zeilen, die der Internetuser widerspruchslos hinnimmt, gerade so wie er sich auch in der Natur bewegt – eine Natur, die genau so viel Schönheit wie auch Grausamkeit in sich trägt.
Der Algorithmus wirkt unverständlich und geheim, und deshalb hat er etwas unumgängliches.
Wenn wir uns schon von etwas regieren lassen müssen, dann lieber von etwas
Unverständlichem. Das ist im Grunde das, was Friedrich Hayek in Bezug auf den Markt sagt, was den wirtschaftlichen Liberalismus vom Staatsinterventionismus unterscheidet. Der Mensch scheint eher dazu bereit, etwas zu akzeptieren, was er nicht versteht, als sich von rationalen Argumenten leiten zu lassen, mit denen er möglicherweise nicht einverstanden wäre:
Gerade dadurch, daß die Menschen sich früher den unpersönlichen Kräften des Marktes unterworfen haben, ist die Entwicklung der Kultur möglich gewesen. Wenn wir uns so unterordnen, tragen wir jeden Tag zur Errichtung eines Baues bei, der größer ist, als irgend jemand von uns voll erfassen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Menschen sich früher infolge von Anschauungen untergeordnet haben, die heute vielfach als Aberglaube angesehen werden: aus einem religiösen Gefühl der Demut oder aus einer übertriebenen Achtung vor den lapidaren Theorien der ersten Nationalökonomen. Der springende Punkt ist, daß es unendlich viel schwerer ist, logisch zu erfassen, warum wir uns Kräften, deren Wirkungen wir nicht im einzelnen verfolgen können, unterwerfen müssen, als dies zu tun aus demütiger Ehrfurcht, die die Religion oder auch nur die Achtung vor den Lehren der Nationalökonomie einflößte.
In der Tat hat der Algorithmus etwas Schicksalhaftes, wie die Moira. Der transparente Mensch normalisiert Metaphern mit erstaunlicher Leichtigkeit, obwohl einige mehr oder weniger genauso gefährlich wie eine Massenvernichtungswaffe sein können. Die Metaphorik des Algorithmus als deus absconditus, der uns unsere Ziele und Wünsche vorgibt, führt uns in die Passivität, und lässt uns das akzeptieren, was man ohnehin nicht ändern kann. Dennoch ist es manchmal angebracht, sich das Offensichtliche zu vergegenwärtigen, nämlich, dass Algorithmen von Menschen geschaffen werden, die den Anweisungen der Firmen folgen, für die sie arbeiten, die wiederum schnellen und großen Profit wollen, um die Risikofonds bedienen zu können, die ihnen wirtschaftliche Absicherung bieten.
Der Algorithmus nistet in einer Grauzone. Und diese Eigenschaft verrät sein Bündnis mit der Macht. Unumstritten und unanfechtbar, übt er seine Macht über Menschen und Dinge aus.
Doch der Algorithmus bringt noch ein drittes, entscheidendes Merkmal mit, und das ist seine
Unverständlichkeit. Diese drei Eigenschaften machen den Algorithmus zu einem kafkaesken Mechanismus. Erinnern wir uns an die Anfangsszene in Der Prozess:
„Nein […] Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.“
„Es sieht so aus“ sagte K. „Und warum denn?“ fragte er dann.
„Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen.“
Maurizio Ferraris bezeichnet ebendiese Absurdität, mit der sich ein Kunde konfrontiert sieht, wenn er in einem Callcenter anruft, als kafkaeskes Syndrom schlechthin.
Und in der Tat: Niemand ist dazu verpflichtet, den Zweck seines Algorithmus preis zu geben. PredPol ist ein Dienstleister für Big Data, dessen Zweck es ist, nicht nur vorauszusagen, in welcher Gegend ein Verbrechen am wahrscheinlichsten ist, sondern dazu noch im Voraus die potenziellen Verbrecher aufzuzeigen. Wie Cathy O’Neil in Angriff der Algorithmen und Mayer-Schönberger und Cukier in Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird betonen, sind wir nicht weit von Phillip K. Dicks fiktionaler Idee in Der Minderheiten Bericht, verfilmt von Steven Spielberg, entfernt. Erinnern wir uns, dass in der Erzählung von
K. Dick eine Formation aus drei Personen (zwei Männer und eine Frau) die Basis der PreCogs bildet. Ihre Gutachten ermöglichen es, schon im Vorhinein zu wissen, wer Opfer und wer Täter sein wird, was ermöglicht, die betreffende Person schon festzunehmen, bevor sie die Tat begeht. Wir können die vorherige Szene in Der Prozess neu erschaffen, indem wir uns die Polizei von Atlanta vorstellen, die von PredPol benachrichtigt wird und zu dem Haus des zukünftigen Verbrechers kommt und ihn vorsorglich verhaftet, ohne dass weder die Polizei noch der Verdächtige den Grund für diesen Vorgang kennen. Diese Information, die von den Firmen ermittelt wird, oder die wir ihnen bereitwillig überlassen, bestimmt nicht nur die Wahrscheinlichkeit, nach der wir letztendlich eine bestimmte Art von Vergehen begehen, sondern auch die Höhe unserer Versicherungssumme oder sogar, ob unser Arbeitsvertrag verlängert wird. O’Neil verurteilt in seinem Buch die Obskurität dieser Algorithmen, die immer größere Bereiche unserer Existenz bestimmen, fungierend als Black Box.
Steckbrief und Übersetzung von Fiona Bönsch im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Beiträge zur spanischsprachigen Literatur
Beiträge zu anderen romanischen Sprachen
Bildquelle:
Javier Moreno – https://elcoloquiodelosperros.weebly.com/la-biblioteca-de-alonso-quijano/category/javier-moreno
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