Werk – In Malas mujeres von María Hesse werden zehn Frauen porträtiert, die in der Geschichte als „böse Frauen“ stigmatisiert wurden. Das Werk bietet einen Einblick in das Leben dieser Frauen und regt zum Nachdenken über Geschlechterrollen, Vorurteile und gesellschaftliche Normen an, die sich über die Epochen hinweg entwickelten und bis heute fortbestehen. Charakteristisch für das Werk ist zum einen Hesses sarkastischer Schreibstil und eine gewisse Mühelosigkeit, mit der sie die Themen auf den Punkt bringt. Zudem gibt sie durch die reiche Bebilderung dem Werk einen einzigartigen Charakter.  

Ähnliche Werke/ Filme:
Rebel Girls (Elena Favilli, Francesca Cavallo)Habia una vez una peruana (Ana Nuñez)Mujeres de la biblia (Ann Spanger, Jean E. Syswerda)Frida Kahlo (Maria Hesse)Women who run with the wolves (Clarissa Pinkola Estes)Little Women (2019) 


VITA – María Hesse wurde 1982 in Huelva geboren. Sie studierte Sonderpädagogik und Kunst und arbeitet als Illustratorin und Schriftstellerin.Derzeit befindet sie sich auf der Liste der 100 besten Illustrator*innen. 
Werk – Mit Malas mujeres leistet María Hesse einen Betrag zu feministischen Literatur. Sie erforscht die Gründe für den schlechten Ruf der realen und fiktiven Frauenfiguren. Dabei beleuchtet sie mit viel Sarkasmus und Feingefühl wie patriarchale Strukturen und Stereotypen in Märchen, Mythen und der klassischen Literatur, seit Jahrhunderten unser Denken beeinflussen und reflektiert ihre eigene Rolle als Frau in dieser Gesellschaft.    

Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Jana Manu Glatt im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner

Deutsche Übersetzung


Die bösen Frauen

Bestimmt handelt es sich um reinen Zufall, aber die bösen Stiefmütter aus den Märchen der Brüder Grimm und später dann bei Disney, sind starke, gerissene Frauen, die von keinem Mann abhängig sind. Obendrein mangelt es ihnen weder an Initiative noch an Scharfsinnigkeit. Und wenn sie nicht ihre Zeit damit verbringen würden, blindlings zu töten, dann könnten selbst wir ihre bemerkenswerten Talente bewundern. Die Heldinnen der Märchen hingegen zeigen nicht einen Hauch von eigenem Willen. Schneewittchen hinterfragt nicht ein einziges Mal ihre Stiefmutter, sondern nimmt jedes Gift an, das sie ihr vor die Nase hält. Rapunzel gibt sich kleinlaut damit ab, von der bösen Zauberin eingesperrt zu leben/verweilen, bis der blinde Prinz im Wald mit ihr zusammenstößt. Aschenputtel wäre gar nicht in die Geschichte eingegangen, hätte nicht die rechte Hand des Königs (wiederum ein Mann) darauf bestanden, den Glasschuh, dem alle hinterherjagten, anprobieren zu lassen.

Der Wahnsinn ging so weit, dass sich eine ihrer Stiefschwestern die Zehen abhackte, um den Fuß in den Schuh quetschen zu können. Die Stiefmütter sind es, die die ganze Bürde des Märchens auf sich nehmen. Ohne sie wäre die Geschichte eine beliebige Seifenoper. Um Frauen dieses Kalibers, erklärte Feindinnen junger, hilfloser Frauen zu bezwingen, braucht es einen Mann, am besten einen Prinzen. Denn dieser kann sich dann um ihren Lebensunterhalt kümmern, ohne dass sie je wieder einen Fuß vor die Tür setzen und sich in Schwierigkeiten bringen müssen. In den traditionellen Erzählungen sind die Männer es, die die Abenteuer erleben und die Jungfrauen zum Leben erwecken, auch ohne deren Zustimmung. Wie Hélène Cixous in Das Lachen der Medusa anmerkt, sind das Erste, was diese passiven Frauen erblicken, die Prinzen, ihre Retter, ihr neues Bezugsuniversum. Nur diese Männer können das Gleichgewicht wiederherstellen, dass durch eine Person, die potenziell Freundin oder Gefährtin hätte sein können, gestört wurde.

Mit der Zeit hörte ich allmählich auf, das Mädchen zu sein, das man verrückt nannte und begriff, dass das alles nur Geschichten waren, die sich jedoch schon so oft in meinem Kopf abgespielt hatten, dass die Moral hängen geblieben war. Und dann plötzlich – Überraschung! – befinde ich mich in einer Liebesbeziehung, in der ich wie durch ein Wunder die Stiefmutter der Geschichte bin – und hier ist nichts mit Fiktion. Alles lief super. Ich verstand mich gut mit dem Sohn meines Partners und sogar auch mit der Mutter des Kindes, da ich zu diesem Zeitpunkt schon verstanden hatte, dass „die andere da“ nicht meine Feindin war. Und trotzdem wusste ich nicht recht, wie ich mich nennen sollte (oder doch und ich traute mich nur nicht, da ich keine Lust hatte, das Risiko einzugehen, in heißen Pantoffeln tanzen zu müssen). Ich war weder die Bekannte noch die Cousine oder die Freundin des Vaters. Ich war etwas anderes, diese namenlose Figur. Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich vor den Spiegel stellte und dreimal „Stiefmutter“ sagte, dann würde ich mich auf der Stelle in eine Hexe verwandeln und alle kriegten es mit. Denn das passiert den bösen Frauen – immer fallen sie auf. Da das, was man nicht benennt, nicht existiert, fühlte ich mich, als würde ich mich durch die Peripherie einer Galaxie bewegen, eine, zu der ich dazugehören wollte. Wie ein seltsamer Planet, dem noch niemand einen Namen gegeben hatte. Für das Vollziehen der „Taufe“ brauchte ich anderthalb Jahre. Dafür musste ich mich vor den Spiegel stellen und laut STIEF-MUT-TER sagen. Und dann setzte die Magie ein – oder die Hexerei, denn wer könnte das schon auseinanderhalten: Ich sagte es, der Junge lachte und schenkte mir einen Zauberstab, denn tief im Inneren wusste er es bereits. Und das wars. Mit mir war alles in Ordnung. Ich war Teil dieser Galaxie geworden.



Allerdings waren die Brüder Grimm bei Weitem nicht die Ersten, die unsere Fantasie prägten. Vor ihnen machten es andere, etwa die Griechen mit ihren Mythen, Tragödien und ihrer Philosophie. Mit all dem definierten und setzten sie den Grundstein für das, was richtig und was falsch für die Frau war. Die griechisch-lateinische Zivilisation ist nun mal, sei es im Guten oder im Schlechten, die Wiege der abendländischen Kultur, mit allem, was dazu gehört. Margarita Dalton Palomo erzählt in ihrem Buch Mujeres, diosas y musas: tejedoras de la memoria (dt. etwa: Frauen, Göttinnen und Musen: Weberinnen der Erinnerung), dass in den Geschichten von Homer und Hesiod beispielsweise die Frauen – zumindest die sterblichen – auf eine reproduktive und häusliche Funktion beschränkt werden. Sie sind der Anlass für Tauschgeschäfte, Bündnisse, Streitigkeiten und Eroberungen. In der Ilias und Odyssee spricht Homer von der Frau als Objekt der männlichen Begierde und Ursprung allen Übels. Und wie so oft ist der Hauptverdienst der Frau ihre Schönheit, die in der Regel nichts als Probleme verursacht. Man denke an Helena, Tochter des Zeus und Gemahlin des Königs von Sparta, welche Paris, Sohn des trojanischen Königs, verzauberte und damit den Trojanischen Krieg auslöste. Um es noch mehr auf die Spitze zu treiben und uns die Daumenschrauben noch fester zu drehen, wie eben üblich, fügte Hesiod, der sich in der Welt der Bedeutungen und Symbole auf unsere Kosten amüsierte, dem hinzu, dass wir nicht nur Kriege verursachten, sondern auch noch für Albträume, die Dunkelheit und überhaupt für den Tod verantwortlich seien. Wie dem auch sei, die Gründungsgeschichten des alten Griechenlands warnen sowohl die eigenen als auch andere Mannsbilder vor der fehlenden Tugendhaftigkeit und der Gefahr, uns in ihrer Nähe zu haben.



Das passiert zweifellos auch, wenn sie über uns sprechen – denn in vielen dieser antiken Texte kommen wir Frauen nicht einmal vor: Sei es, weil sich unser Aktionsradius zu der Zeit lediglich auf die Grenzen des Heims beschränkte oder um uns auf eine sehr eloquente Art und Weise verstehen zu geben, dass wir schwach und minderwertig seien. Wir können die Macht der Erzählungen nicht leugnen – seien es Märchen, Mythen, Tragödien oder mündlich überlieferte Anekdoten – Bilder zu schaffen, die über Jahrhunderte hinweg Bestand haben würden. Die griechischen Denker beließen es jedoch nicht dabei, sondern spannten einen Bogen zum philosophischen Denken und in einer tödlichen Spirale spannen sie sich zusammen, dass all das, was wir waren, nicht der reinen Fantasie entsprungen war, sondern der Natur der Dinge.

Einer von ihnen war Platon. Auch wenn er sich dafür aussprach, dass die Frau kein Eigentum des Mannes sei und sie Bildung erhalten sollte, bekräftigte er dennoch die Denkweise dieser Epoche – „die Frau ist in jeglicher Hinsicht schwächer als der Mann“ (Politeia). Sein Schüler Aristoteles war da schon um einiges weiter und beschrieb uns direkt als untergeordnete Wesen. In der Politeia ließ er keinen Raum für Interpretationen: Die sozialen Ungleichheiten sind biologischen Ursachen geschuldet. Die gesellschaftliche Ordnung ist ein natürliches Ereignis und die ganze Hierarchie basiert auf der Überzeugung, dass die Frau ein „minder vernunftbegabtes“ Wesen ist. Von Rachsüchtigen bis Verrückten, Verlogenen bis Ambitionierten, ob Hure oder Mörderin: Dort, im alten Griechenland, entstand für die kommenden Jahrtausende die gesamte Palette an Abstufungen. (Und dennoch sollte man dafür dankbar sein, denn außerhalb Griechenlands waren die Dinge um einiges komplizierter).

Zurück zum Mythos. Vielleicht ist das eindeutigste Bild potenziellen Schadens, den unser Geschlecht umgibt, jenes, das den Beginn alles Schlechten verkörpert, nämlich die erste Frau: Pandora. Es gab Zeiten, zu denen die Männer glücklich lebten. Damals, als es die Frau noch nicht gab. Es fehlte ihnen lediglich das Feuer, das Zeus sorgfältig versteckt hatte. Alles änderte sich schlagartig, als der Titan Prometheus, Freund der Sterblichen, es durch eine List an sich nahm, woraufhin Zeus furchtbar wütend wurde und beschloss, es ihm mit der gleichen Münze heimzuzahlen: Er befahl Hephaistos aus Lehm ein Objekt zu schaffen – denn die Objektifizierung der Frau /Gestaltung des Objektes Frau begann nicht erst in Hollywood – und ihm Leben einzuhauchen. Nachdem sie geschaffen und mit den Gaben der Göttinnen des Olymps gesegnet worden war, beauftragte Hermes, Gott der Arglist, ihr Lüge, Verführungskraft und einen unbeständigen Charakter einzuflößen. (Wie wäre es mit zyklisch? Oder etwa menstruierend?). Das war (eben jenes) Geschenk, das er Epimetheus, Bruder des Prometheus, übergab, zusammen mit einer Büchse und der Anweisung, diese unter keinen Umständen zu öffnen. Pandoras Neugierde verleitete sie dazu, die Büchse zu öffnen – ebenso wie Dornröschen das Spinnrad nutzte oder Eva in den Apfel biss – und somit befreite sie all das Übel, das Zeus darin versteckt hatte. Als sie sie wieder schloss, war das Einzige, was darin blieb die Hoffnung.Ich meine ja nur: Sie schaffen die erste Frau mit einem „problematischen“ Charakter, überreichen sie dann einem Mann, als sei sie ein Objekt, mit einer Büchse, die man nicht öffnen darf. Und dennoch ist in den Mythen die Frau an allem schuld, also wir?


Steckbrief und Übersetzung von Jana Manu Glatt im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner

Beiträge zur spanischsprachigen Literatur

Beiträge zu anderen romanischen Sprachen

Das Projekt


Bildquelle

María Hesse – https://www.elespanol.com/malaga/cultura/20220223/maria-hesse-marilyn-maquillo-tonta-peligrosa-referente/650934986_0.html

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