Werk – In diesem Werk behandelt die Autorin die Frage nach Heimat und Zugehörigkeit und wie es ist fremd zu sein. Selbst dann, wenn die eigene Muttersprache beibehalten werden kann. Welchen Preis zahlt man, wenn man die Heimat zurücklässt oder gar zurücklassen muss? Clara Obligado beschreibt aus ihren eigenen Erfahrungen heraus, wie es war in ihrem Exil in Spanien anzukommen, nachdem sie Argentinien verließ. Sie erzählt von der Zerrissenheit vieler Auswanderer, den echten Problemen hinter den offenkundigen und für alle nachvollziehbaren Problemen, wie Verlust und Trauer der alten Heimat und dem Versuch der Bewahrung seiner Identität, während man eine neue aufbaut, um sich in der neuen Heimat anzupassen. Sie schreibt in einem sehr sachlichen Ton und gibt Emotionen und Fakten gleich viel Raum. Auch gibt sie anderen bekannten Literaten die Bühne, indem sie ihre Stimmen miteinbezieht, so bspw. den Literaturnobelpreisträger Imre Kertész, als sie der Frage nachgeht, ob und, wenn ja, welche Grenzen Literatur und Poesie haben. VITA – Clara Obligado geb. 1950 in Buenos Aires, Argentinien ist eine argentinisch-spanische Autorin sie hat einen Abschluss in Literatur derUniversidad Católica Argentina. Das erste Buch veröffentlichte sie 1982. 1996 erhält sie den Premio Femenino Lumen, 2012den Setenil-Preis und 2015 den Juan March Cencillo Kurzgeschichten Preis. Seit 1976 lebt sie in Madrid im politischen Exil. | Werk – Clara Obligado gibt in ihrem Werk wieder, was viele Menschen fühlen und sich nicht getraut haben, auszusprechen. Inzwischen hat jede 4. in Deutschland lebende Person einen Migrationshintergrund. Doch ihren identitären Krisen wird in der Gesellschaft wenig Raum gegeben, denn das Interesse oder gar das Bewusstsein dafür fehlt vollkommen. |
Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Monika Kiermasch im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Deutsche Übersetzung
Als ich mir schließlich der Tragweite für mein Leben von dem bewusst wurde, was mir widerfahren war, versuchte ich mich mit meinen eigenen Waffen, nämlich Büchern, zu schützen, und las Autoren, die diese Situation überwunden hatten und mir helfen konnten. Die ungarische Schriftstellerin Agota Kristof, ihre Äußerungen sind genauso mächtig und wenig schmeichlerisch wie ihr Werk. Kristof spricht von ihrem eigenen Exil, das sie wegen des Aktivismus ihres Mannes erlitt, der sich gegen die russische Herrschaft in Ungarn wehrte. Sie ließen sich in der französischen Schweiz nieder und Agota begann in einer Fabrik zu arbeiten. Sie, die Dichterin war, fühlte sich wie ein Kind, das gerade zu sprechen beginnt, einer Analphabetin: „[…] die französische Sprache ist ebenfalls die Sprache des Feindes. Aber es gibt noch einen anderen Grund, und dieser ist der schwerwiegendste: Diese Sprache tötet meine Muttersprache.“
Außerdem: „Ich habe mein geheimes Tagebuch in Ungarn gelassen, und auch meine ersten Gedichte. Ich habe auch meine Geschwister und meine Eltern zurückgelassen, ohne es ihnen anzukündigen, ohne mich von ihnen zu verabschieden, ohne auf Wiedersehen zu sagen. Aber vor allem habe ich an diesem Tag, diesem Tag Ende November 1956, meine Zugehörigkeit zu einem Volk endgültig verloren.”
Die Wunde an der Luft. Die Feindseligkeit gegenüber einem fremden Land, in dem man nicht sein möchte. Der Verlust der Zugehörigkeit. Die Blicke im Nacken. Die Albträume. Doch was sich Neuankömmlinge nicht vorstellen können: Die Entfernung wird zu einem Teil von dir. Nach und nach entsteht die Gewissheit, dass der Verlust der Heimat nie wiedergutzumachen ist, aber vielleicht zu einem großen literarischen Thema werden kann.
Warum Spanien? Warum Madrid? Das habe ich mich viele hundert Male gefragt. Franco war seit einem Jahr tot, und wenn man jung ist, denkt man, dass ein Jahr eine sehr lange Zeit ist. Die Sprache? Vielleicht. Es war von Demokratie die Rede, und aus einem Land, das durch einen Militärputsch vernichtet worden war, hatte dieses Wort den Klang der Zukunft. Und die Welt war kein stabiler Ort mehr. Ohne den Wunsch nach einer Zukunft, von vorne anfangen.
Ich werde nicht über die erste Zeit des Exils sprechen, es hat dreißig Jahre gedauert, bis ich davon erzählen konnte, sie kamen mir vor wie ein Leben, das kaum auf eigenen Beinen stehen konnte. Meiner Erfahrung nach bietet Fiktion nicht den geeignetsten Raum, um diesen Schmerz zu fassen, denn hinter der Entwurzelung des Exils verbirgt sich eine Mischung aus dem Leid anderer und der Schuld, weiterzuleben. Die persönliche Klage vermischt sich mit der Zurschaustellung der Wunden anderer, es ist schwierig, das eigene Territorium abzugrenzen. Ich weiß nicht, wie ich mich von dem Schmerz anderer distanzieren kann, und Literatur impliziert Distanz. Ich denke oft, dass die Reflexion über Gewalt zwar unverzichtbar ist, dass es aber vielleicht einfacher oder legitimer ist, sich dem Thema aus dem Blickwinkel der Reportage, des Dokumentarfilms, der Lebensgeschichte, des Essays, des Kampfes gegen das Unrecht und der Erinnerung selbst zu nähern. Die Qualen der anderen. Es stellen sich die ewigen Fragen: warum erzählen, was erzählen, wie erzählen und wem erzählen, deren Beantwortung in diesem Fall besonders schwierig ist.
Ich bin mir dessen nicht sicher, was ich sage, und ich mache es auch nicht zu einem Gesetz, aber ich kann sagen, dass meine Darstellungen dieser Zeit immer symbolisch und indirekt waren. Vor einiger Zeit hörte ich die Schriftstellerin Piedad Bonnett, die über ihr Buch „Wofür es keinen Namen gibt“ sprach, in dem sie den Tod ihres Sohnes schildert. „Ich war Schriftstellerin, was sollte ich sonst tun? Ich wurde durch die Struktur gerettet.“ Und weiter: „Worte versuchen stur in die Tiefen des Todes einzutauchen.“ Es heißt, dass es keinen größeren Schmerz gibt, als den Tod eines Kindes. „Ich wurde durch die Struktur gerettet.“
Geht es also darum, an etwas festzuhalten, das weit über die Geschichte selbst hinausgeht? Sich beim Schwimmen an das zu klammern, was jenseits der Semantik überlebt? Persönliche Geschichten, die uns untergehen lassen – Methoden der Erzählung, die uns helfen uns zu retten. Suchen – nicht Argumente, sondern einen Weg, diese zerbrochene Welt darzustellen. Wie weit muss man vom Geschehenen entfernt sein, damit eine Erzählung legitim ist? Piedad Bonnett berichtet von einem Ereignis, das sich im Kreis der Familie zugetragen hat. Das ist nicht dasselbe, denke ich.
Die Kontroverse darüber, was nach großen Tragödien erzählt werden kann und was nicht, ist nicht neu. Adorno fragte sich, ob es zulässig sei Gedichte zu schreiben nach Auschwitz, welche Rolle die Kunst angesichts gewisser Gräuel spiele, wenn die Brutalität dermaßen groß ist, dass eine ästhetische Annäherung kaum oder nur unzureichend möglich sei. Man könnte die Frage wie folgt zusammenfassen: Darf man an den Toren zur Hölle dichten?
Imre Kertész sagte in seiner Nobelpreisrede:
„Was hatte ich überhaupt noch mit der Literatur zu tun? Denn das war klar, von der Literatur und von dem Geist, den Ideen, die mit diesem Begriff verbunden sind, trennte mich eine unübertretbare Demarkationslinie, und diese Demarkationslinie trug – wie so vieles andere auch – den Namen Auschwitz. Wenn jemand über Auschwitz schreibt, muß ihm klar sein, daß Auschwitz die Literatur – wenigstens in einem bestimmten Sinn – aufhebt.”
Steckbrief und Übersetzung von Monika Kiermasch im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner
Beiträge zur spanischsprachigen Literatur
Beiträge zu anderen romanischen Sprachen
Bildquelle:
Clara Obligado – https://www.edicionescontrabando.com/una-vida-subtitulada/
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