Carlos Fortea Gil


Werk – Der Erste Weltkrieg ist gerade erst vorbei, als wenige Monate später im Jahre 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz über territoriale und militärische Bestimmungen, sowie Kriegsschuld und Reparationszahlungen der Verlierermächte beraten wird. Zu diesem Anlass versammeln sich die wichtigsten Vertreter der Siegermächte, darunter der Premierminister Großbritanniens David Lloyd George, der amerikanische Präsident Woodrow Wilson, Italiens Präsident Vittorio Emanuele Orlando und Georges Clemenceau, Ministerpräsident Frankreichs in Paris. Die Handlung wechselt zwischen vertraulichen Gesprächen unter Staatsoberhäuptern und Dialogen beruflicher und privater Natur unter den Journalisten, bis schließlich der Mord an einem deutschen Agenten das rege Treiben aufmischt.

VITA – Carlos Fortea Gil, geboren 1963 in Madrid, ist seit 1986 vereidigter Übersetzer aus dem Deutschen. Anfangs noch spezialisiert auf juristische Texte, umfasst sein übersetzerisches Gesamtwerk heute große deutsche Klassiker, unter anderem Titel von Alfred Döblin, Franz Kafka und Stefan Zweig. Der promovierte Germanist und Universitätsprofessor ist seit über 20 Jahren in der Hochschullehre tätig. Aktuell unterrichtet er im Studiengang Übersetzen und Dolmetschen der Universität Complutense in Madrid. Er ist außerdem Autor von sechs Romanen, darunter vier Jugendromane (Impresión bajo sospecha, 2009; El diablo en Madrid, 2012; El comendador de las sombras, 2013; A tumba abierta, 2016). Los jugadores (2015) und El mal y el tiempo (2017) hingegen zählen zur Erwachsenenliteratur.
Werk – Der Roman Los jugadores ist weder eindeutig dem historischen noch dem kriminalen Genre zuzuordnen. Er ist vielmehr ein (nachträgliches) Zeitzeugnis dessen, was das Europa – und ferner auch die Welt – von heute einst prägte. Bemerkenswert an diesem Werk ist nicht nur die Recherchearbeit in Form von wortgetreuer Übertragung vieler Äußerungen ranghoher Politiker, sondern auch die sorgfältige Aufarbeitung der Rolle des ehemaligen Deutschen Kaiserreichs vor und während des Ersten Weltkriegs. Ein Roman, der Vergangenes aufarbeitet und aufklärt, aber auch zum Grübeln über die aktuelle Weltpolitik anregt.

Leseprobe – Erstellt und übersetzt von Lea Florentine Kaast im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner

Deutsche Übersetzung


„… deshalb erachte ich die Gelegenheit, für entgeltliche Tätigkeiten eine Gehaltsobergrenze festzulegen…“

Die Spannung in der Luft war kaum auszuhalten. Cortázar betrachtete seine Hand auf der Armlehne des Sitzes, nur wenige Zentimeter von der Lauras entfernt.

Mehrstimmiges Gemurmel im Saal wurde vernehmbar. Worte wie „unerhört“ oder „verrückt“ wurden laut.

Er legte seine Hand auf ihre.

„Ich denke, wir sollten gehen.“
Laura nickte nervös.
Schleppend näherte sich die Konferenz dem Ende. Als die Fragerunde eröffnet wurde, begab sich Christoph von Klettemberg unauffällig zu einem glatzköpfigen Engländer mit markanten Augenbrauen und dichtem Schnauzbart. Er setzte sich und wandte sich in der eigenen Sprache an ihn:

„Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen, Sir. Ich bin Christoph von Klettemberg, ehemaliger Oberst der kaiserlichen und königlichen Armee von Österreich.“

Der Engländer hob zögernd die Brauen, womit er sein Erstaunen ausdrückte.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“

„Ich würde mich gerne einmal inoffiziell – Christoph betonte diskret das Wort – mit Ihnen über mein Land unterhalten. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist…“

Der Engländer hob die Hand und streckte ihm die Handfläche entgegen.

„Sir, ich halte es nicht für…“

„Ich betone noch einmal, dass es sich um etwas Inoffizielles handelt. Eine Bitte von Gentleman zu Gentleman. Ich hoffe, dass mich meine Position als Besiegter nicht der Kränkung unterwirft, nicht angehört zu werden. Zwar bin ich kein römischer Senator, doch Sie sind zweifelsohne mehr als ein gallischer Heerführer.“

Überraschenderweise zeigte die Anspielung auf das bedrohliche „Vae victis“ direkt beim ersten Mal Wirkung. Sein Gesicht wurde ernst und seine Augen gaben klar zu verstehen, dass seine Bitte erhört worden war. Zwei kurze Worte bestätigten dies:

„Ich höre.“

„Haben Sie vielen Dank“, sagte Christoph. „Worum ich Sie lediglich bitten möchte, ist Ihren Einfluss auszuüben, um – und wenn es nur das ist – der Geschichte Respekt zu zollen. Mein Land ist wegen der Revolutionen im vergangenen Jahr nur noch ein Abglanz dessen, was es einst war, während seine Hauptstadt nach wie vor einem Kulturtempel gleicht. Doch in dieser Stadt leidet man heute Hunger. Ehemalige Provinzen unseres eigenen Landes weigern sich, uns die Produkte zu verkaufen, die uns zuvor versorgten. Ein kaputtes Fenster endet in einer Katastrophe, weil wir nichts haben, um es zu reparieren und in den Häusern fehlt Heizmaterial.

„Ich nehme an, Sie wissen, dass man darüber diskutiert, Ihnen Hilfe zu schicken.“

„Ich weiß, dass man darüber diskutiert, aber wenn sie nicht bald gewährt wird, wen erreicht sie dann? Die Überlebenden? Wussten Sie, dass ein Polizeipferd während einer Demonstration tot umgefallen ist und sein Skelett eine halbe Stunde später ohne auch nur den kleinsten Fitzel Fleisch daran wieder auf der Straße lag? Wussten Sie, dass Frauen aus dem Bürgertum sich prostituieren, nur um nicht verhungern zu müssen?

Auf das Gesicht des Engländers legte sich plötzlich ein schrecklicher Ernst.

Um sie herum fingen die anderen Teilnehmer an, das rege, wenn auch leise Gespräch, das neben ihnen stattfand, zu verfolgen. Dies schien die Hauptakteure jedoch nicht zu stören.

„Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass Ihr Land einer der Verursacher dieser Katastrophe ist“, antwortete der Engländer. „Ich nehme an, Sie können nachvollziehen, welche zusätzlichen Schwierigkeiten dies für Ihr Anliegen mit sich bringt.“

Klettemberg gestikulierte ungeduldig. Seine rechte Hand zuckte in der Luft.

„Denken Sie, ich wüsste das nicht? Wir haben dafür mit dem höchsten Preis bezahlt: dem Untergang. Uns wird weder ein Recht auf Anhörung gewährt noch wurde irgendein Ausschuss einberufen, der sich mit uns befasst, so wie es mit anderen ehemaligen Gebieten unseres Landes geschieht. Alles, was wir wollen, ist, dass die Menschen am Leben bleiben. Dass anerkannt wird, dass wir unsere Vergangenheit, unsere Existenz, unser Sein aufgegeben haben.“ Der Ulanenoberst hob den Kopf und schob das Kinn von einem unkontrollierbaren Zittern gepackt vor. „Verdammen Sie meinetwegen die, die wir einst waren, aber doch nicht diejenigen, die nichts weiter taten als unseren Fehlentscheidungen Folge zu leisten.“

Der Engländer antwortete nicht. Beeindruckt sah er den Mann an, der sich vor ihm erniedrigte, indem er Jahrhunderte der Geschichte mit einem von vornherein aussichtslosen Anliegen zu bereinigen versuchte.

„Handeln Sie im Namen Ihrer Regierung?“, fragte er schließlich.

„Nein, Sir. Ich arbeite für sie, aber ich handle nicht für sie. Würde ich das tun, so würde ich mir eher eine Kugel in den Kopf jagen, als in ihrem Namen um etwas zu betteln.“

Der Engländer blieb nachdenklich.

„Ich werde weiterleiten, was Sie mir gesagt haben. Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen.“

Mit einem Mal stand Christoph auf, wie getrieben von der Erleichterung das Gespräch hinter sich gebracht zu haben.

„Mehr verlange ich nicht.“

Er schlug die Hacken zusammen, während er einmal kräftig nickte und ging taumelnden Schrittes davon. Als hätte er in der Zeit nicht geredet, sondern getrunken, als hätten seine Worte Spiritus enthalten.

Der Engländer stützte sich mit einem Arm auf die Stuhllehne und schaute ihm hinterher. Er hatte seinen Landsmann kaum bemerkt, bis dieser ihn fragte:

„Wie wirkte dieser Verrückte auf Sie, Keynes?“

Der oberste Wirtschaftsberater der britischen Delegation richtete den Blick auf seinen Kollegen. Es dauerte einen Augenblick, bis er realisierte, dass er sich auf den Konferenzteilnehmer bezog.

„Interessant“, erwiderte er ungerührt. „Obwohl ich bezweifle, dass man ihm jemals Folge leisten wird.“

„Es ist eine hirnverbrannte Bitte.“„Oh nein“, widersprach der Berater heftig. „Es ist weitaus mehr als das: es ist vernichtend. Er packt die Habgier bei ihren Wurzeln. Sie werden ihm niemals Gehör schenken.“


Steckbrief und Übersetzung von Lea Florentine Kaast im Mentorat mit der Übersetzerin Lea Hübner

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Das Projekt


Bildquelle:

Carlos Fortea Gil – Vom Autor zur Verfügung gestellt.

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